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Gedichte von Lina Al-Tibi

Übersetzung verschiedener Gedichte von Lina Al-Tibi aus dem Band "Passfoto" (London, Februar 1991) und "Sonne im Fenster" (London, Februar 1989) und


Lina Al-Tibi


- 1 -

Ich kann jetzt nicht reden
Ich habe nur Wasser und Wasser
Ich sah im Flur meiner Dunkelheit
Was mein nächtliches Wachbleiben erleuchtet.
Ich kann nicht
Schlafen
Ich ertrinke dort, wo der Tag gleißt
Und habe Wasser
Und ein Boot
Und viele Schlüssel
Die ich verliere.


- 2 -

Langhalsige Gazellen verfolgen mich
Und nehmen den Weg, meinen Weg
Und ich sehe nichts, außer was sich erstreckt und überfließt
Was sich löst und entfernt
Was verloren geht von der Vision

Ich kann nicht, außer herabfließendes Wasser
Von meiner rituellen Waschung
Und nimmt mich weit weg von meinem Gebet,
Ich bete für das Morgen,
Und jeder Tag, den ich erbete, stirbt
Wird geboren und stirbt

Ich werde, wenn du mich ansiehst
Zu auseinandergefallenen Veilchen eines alten Kalenders
Wo immer ich hinschaue, sehe ich Pferde, sich galoppierend mit dem Feind messend
Und ich
Meine Stimme ist eine Leiter
Und ich sage dir, steige.
Ich kann nicht
Das Wasser ist im Schöpfeimer
Wird ausgeschüttet
Und löscht den Staub.

Zünde mir eine Lampe an
Ich sehe meine Hand nicht
Erhelle die Dunkelheit, damit sie sich beruhigt
Ich übergebe dir meine Hand
Meine Hand reckt sich zu dir empor.

Ich verstumme
Wenn es mir nicht möglich ist
die Worte freizugeben
Ich sammle sie mit meinen Lippen, und ich beweine sie
Das Wasser hat seinen Aufstieg über den Sand
Genauso schlafe auch ich.


- 3 -

Weil ich nicht alle Dinge sage
Hast du gesehen,wie ich sie loslasse
Weil ich mich ihnen nicht widmete
Erblühten sie in der Natur
Und vertrockneten in meiner Vase

Der Schlaf ist eine Auferstehung
Jetzt
Nur jetzt
Sehe ich die Auferstehung

Ich renne auf barmherzigem Sand
Durchpflüge seinen Staub
Ich kann nicht
Diese Wellen, die emporstreben
Füllen mich mit Wasser
Ich bin naß von Tau und Salz
Ich habe mein Boot verlassen
Und alles, was ich dabei hatte
Was ich nicht besitze
Was ich beim Aufstieg verloren hatte

Wenn dein Name weit weg ist
Reiche ich dir meine Einsamkeit als Bett
Damit du schläfst


- 4 -

Angst

Hier ist ein Wald
Hier ist ein See
Hier versinke ich
Zu mir
In deinem Hemd
Mit deiner leichtsinnigen Seele

Die Wolken trübten das Haus
Und der Schrei verhärtet in meinem Mund.
Die Blumen der Dunkelheit steigen in mein Bett
Und der Geruch des Todes durchlöchert die Luft
Komm
Die Angst erleuchtet ihre Lampe
Die Angst hat Schritte.
Schließe die Türen
Die Lichter und die Fenster
Schließe den Tod
Der Tod hat seine Wagen
Hat Betten
Und Stimmen, die klagen und sich nähern.

Ich höre ihn
Seine Hand greift nach der Klinke
Seine Stimme dringt ein
Und Ameisen fressen meine Kehle.
(1986)


- 5 -

Wenn ich sterbe

Wenn ich sterbe
Laßt ihn mich nicht sehen
Bedeckt mich mit einer Wolke aus Veilchen
Und geht.
Wenn ich sterbe
Laßt ihn nicht meine Seele sehen
Rauch
In der Einsamkeit des Zimmers.

Streut die Asche auf den Kuß.

Wenn ich sterbe
Schließt meine Augen
Und lacht
Lacht viel
Damit er nicht meine Schritte hört
Im anderen Zimmer.
(1986)


- 6 -

Niemand...

Als ich die Tür öffnete
Und niemand da war,
Als ich den Boden fegte
Und kein Staub da war
Als ich mich an den Tisch setzte
Und beobachtete
Die sich drehenden Zeiger der Uhr
Die sonnegesprenkelten Gardinen
Die Bücher
Das Bett
Die eng beieinander stehenden Wände,
Die Deckenlampe, die kein Lüftchen bewegt
Der Kleiderhaken, der seine Schultern hängen läßt
Als ich schrie, ohne jedes Echo
Da war ich mir sicher, daß niemand in diesem Haus ist
Niemand... niemand
Atlas
Der die Kugel rollt.
(1987)


- 7 -

Korridor im Spiegel

Heute ist wie Gestern
Wie Morgen
Wir haben nichts zu tun
Wir haben die Teller gespült
Wir haben den Boden geputzt
Wir haben ihre Hemden gebügelt
Und sind an Spiegeln vorbeigekommen
Wir haben unsere Kleider gewechselt
Und unsere Strümpfe
Und unsere Haarnetze
Wir haben die Vorhänge weggezogen vor dem frühen Morgen
Und sind mit der Sonne in die hohen Zimmer emporgestiegen.
Wir sagten dem Abend: Willkommen.

Der Abend ist ein Liebhaber
Korridor im Spiegel.
(1987)

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Lina al-Tibi, geboren 1963 in Damaskus, lebt seit Mitte der 80er Jahre in London. Veröffentlichung des ersten Gedichtbandes "Eine Sonne im Schrank" in London 1989, wo 1994 auch ihr zweiter Gedichtsband "Paßfoto" erschien. 1993 Mitgründung des Magazins 'al-Katibah' (die Autorin). Arbeitet seit 1991 als Journalistin.


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