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Das Wappen der Familie Khammas

Zehn hoch Dreiundzwanzig

Diese Story war sehr lang (99 Seiten) und auch nicht besonders gut gelungen (deshalb diesmal auch ohne Pseudonym).

ABER die Idee dahinter ist um so wichtiger, denn ich behaupte, daß der berühmte Kristallschädel (derzeit im Britischen Museum in London ausgestellt) ein Datenspeicher ist. Allerdings habe ich nicht die geringste Ahnung, WER ihn WANN und WIE hergestellt haben mag. Das Ganze ist jedenfalls äußerst mysteriös... und meine Story auch.

Aus diesem Grund habe ich mch entschieden, die gane Geschichte noch einmal neu zu schreiben. Besser und flüssiger. Und diesmal auf nur 23 Seiten!

Viel Spaß damit...

ZEHN hoch DREIUNDZWANZIG

Science-Fiction Kurzgeschichte
von
Achmed A. W. Khammas, Damaskus/Berlin

Gewidmet in Memoriam:
Frau Dr. Elisabeth Bauser, Max-Planck-Institut für Festkörperforschung/Stuttgart



Ich schüttelte fassungslos den Kopf, "...wie bist du bloß wieder an so einen Job gekommen?"

Alec druckste etwas herum und ich musste ihm die Worte einzelnen aus der Nase ziehen. Seitdem das Grundeinkommen für alle durch war, hatte sich meine finanzielle Lage zwar etwas entspannt, aber wenn ich mir eine echte Ducati Mark 3 D von 1969 kaufen wollte, mußte ich mich ernsthaft um ein zusätzliches Einkommen bemühen.

"Du weißt doch, mein Onkel war früher einmal..."

Diese Geschichte kannte ich allerdings nur zu genüge. Alec benutzte fast jede Gelegenheit um mit seiner Verwandtschaft anzugeben. Doch nun schien es sich ein weiteres Mal ausbezahlt zu haben, einen ehemaligen Außenminister ‚Onkel Juri’ nennen zu dürfen. Ich verging fast vor Neid.

"Und wann wirst du anfangen?"

"Schon nächste Woche. Die kämpfen mit einer regelrechten Datenlawine. Die Anforderungen im Bereich der Speicherung explodieren, und dazu kommt durch das Internet eine riesige Menge an Echtzeitdaten herein, in denen sie ertrinken." Alec grinste dreckig.

Das brachte mich auf eine Idee, und ich schaute mich nach der Bedienung um. Als die frischen Cocktails vor uns standen, wagte ich einen weiteren Vorstoß. Ich wusste inzwischen, daß er irgendeine koordinierende Funktion inne hatte.

"Meinst du, es gibt auch für mich eine Möglichkeit, um dort an etwas Geld zu kommen?" Dort war eine UNO-Kommission am Hauptsitz in Genf, die sich seit einiger Zeit damit befasste, wie man wichtige Unterlagen in besonders sicheren Datenspeichern bunkern konnte.

Mein langjähriger Mitbewohner schaute mich nachdenklich an. Ich konnte mir gut vorstellen, was gerade in seinem Kopf vorging. Denn eigentlich war es ja andersherum, und ich war sein Mitbewohner. Alec hatte mir großzügigerweise und unentgeltlich das kleine Gäste-Appartement in seiner Villa zur Verfügung gestellt, und oft kam ich mir vor wie sein Hausmeister, so selten wie er überhaupt zuhause war. Andererseits hatten wir zusammen im Laufe der Zeit schon eine Menge angestellt, und er kannte meine Verlässlichkeit. Und natürlich auch meine Fertigkeit, mit Bits und Bytes jonglieren zu können.

"Radio Eriwan würde antworten: im Prinzip nein!" Alec genoss die Situation sichtlich. Er hob sein Glas. "Das würde jedenfalls Onkel Juri sagen. Aber du kannst Gifte darauf nehmen, dass ich die Augen aufhalte und die Ohren spitze – und sei es auch nur, damit ich nicht ganz alleine bei diesen Eierköpfen herumhängen muss." Manchmal war er unausstehlich.

 

 

Der große Besprechungsraum sah aus wie alle Räume, in denen sich wichtige Menschen mit wichtigen Themen beschäftigen. Oder wenigstens so tun als ob. Diesmal gab es zwei Ausnahmen: Das Thema brannte allen auf den Fingern – und irgendwer hatte eine Sondererlaubnis beschafft. Die Aschenbecher quollen bereits über.

"Wann wurde hier eigentlich das letzte Mal die Klimaanlage gewartet?" Dr. Mugabe rüttelte an dem versiegelten Fenster, durch das man den grauen Himmel über Genf sehen konnte. Überall türmten sich Akten, Skizzen und Modelle auf den Tischen, ein paar Blätter lagen auf dem Boden. Der Wandbildschirm zeigte den bislang erreichten Konsens, eine schlichte Kugel. Durch die schneidend dicke Luft schwirrten Gespräche in mindestens fünf Sprachen. Dr. Mugabe riss die Tür zum Korridor auf und holte tief Luft. Misstrauisch blickte er zu den Rauchmeldern hoch, dann atmete er noch einmal tief durch und kehrte in den Besprechungsraum zurück. Die Tür ließ er offen.

Er musste mit dem Kugelschreiber ein paar Mal an eine Wasserkaraffe schlagen, bis die Gespräche langsam abebbten. Als alle wieder saßen, hatten sich die Rauchschwaden schon etwas gelichtet.

"Meine Herren, wir sollten noch heute eine Entscheidung treffen. Über die meisten Punkte sind wir uns ja einig. Die frühere Speicherung auf Mikrofilm oder Magnetbändern wird definitiv ausgeschlossen. Festplattenspeicher in jeglicher Form ebenso. Und die Deponierung dieser Medien in Bergwerken und in flüssigem Helium war eindeutig eine Schnapsidee. Die geringste tektonische Bewegung – und die Stahlbehälter wären wie faule Eier zerplatzt."

Die internationale Arbeitsgruppe, die auf Anweisung des Generalsekretärs vor einem Jahr mit der Arbeit begonnen hatte, stand kurz davor ihre abschließenden Empfehlungen zu formulieren. Es waren hektische Monate gewesen, in denen sie quer über den Erdball gejettet waren und dabei einen Haufen Dolmetscher verschlissen hatten. Ihre CO2-Bilanz sah entschieden mangelhaft aus – nur gut, dass der Generalsekretär beschlossen hatte, das Ganze vorerst als geheim einzustufen, dachte sich Dr. Mugabe.

"Eigentlich gibt es nur noch zwei Dinge, über die wir uns einigen müssen. Dann können die Techniker endlich anfangen." Dr. Mugabe schaute zu den indischen Hardwarespezialisten hinüber. Ihre ungeduldigen Blicke hatte er schon die ganze Zeit gespürt, doch es gab einen Anteil an Bürokratie, der einfach nicht übersprungen werden konnte. Mugabe wusste jedenfalls, dass er der richtige Mann in der richtigen Position war. Inhaltlich nicht zu tief involviert, politisch weitgehend neutral, und gleichzeitig stark genug um sich manchmal auch gegen Nobelpreisträger, Spitzendiplomaten und sogar Vertreter der einflussreichen Religionen durchzusetzen, aus denen die Arbeitsgruppe bestand.

"Ich verstehe nicht, warum wir uns nicht für einen Kopf entscheiden. Schließlich befindet sich der menschliche Datenspeicher genau da drin – und das wird wohl auch bei jeder zukünftigen Zivilisation der Fall sein, oder?!" Gedämpftes Lachen erklang an verschiedenen Seiten des Tisches.

"Bitte, nicht wieder diese Diskussion!" Rabbi Katz hob abwehrend die Hände. "Wir alle wissen doch, wie stark das Bilderverbot in den Religionen verankert ist. Auch die Logik sagt uns, dass es in Zukunft Perioden geben wird, in denen Abbilder des Menschen von anderen Menschen zerschlagen werden!" Hilfesuchend blickte er zu Scheich Foda hinüber. Der Rachtsgekehrte vom Azhar el-Sharif nickte eifrig. "Der Prophet, Gottes Segen sei mit ihm, hat damals auch gleich alle Götzen zerstören und verbrennen lassen, als er siegreich nach Mekka eingeritten kam. Auch ein menschlicher Kopf aus Kristall hätte dies nicht überlebt!"

Dr. Mugabe bemerkte die verzweifelten Blicke, die zwischen den Mitgliedern aus Europa, Nordamerika und Japan hin und her zuckten. Er stand auf und schob seinen Sessel geräuschvoll nach hinten. Ein uralter Trick um Aufmerksamkeit zu erlangen, doch immer wieder erfolgreich. "Jedenfalls sind wir uns alle darüber im klaren, dass die einzige Möglichkeit um die Daten unserer Kultur sicher zu bewahren darin besteht, sie holografisch in Kristall einzulagern. Dieses Trägermaterial hat die besten Chancen, über Jahrtausende allen Widrigkeiten der Natur zu trotzen." Er drehte sich zu dem Wandbildschirm um. "Und weil wir erkannt haben, dass die Form einer Pyramide oder eines Kubus die Gefahr mit sich bringt, dass Ecken oder Kanten abgeschlagen werden, fanden wir zur Kugel..."

Wie Dr. Mugabe befürchtet hatte, meldete sich prompt der Vertreter des Vatikan zu Wort. "Kugel, Kugel, Zauberkugel... das ist doch lächerlich! Alles was rollt kann auch wegrollen – und – hast du nicht gesehen – sind die gesammelten Daten der Menschheit in der nächsten Erdspalte verschwunden!" Der Kardinal schüttelte empört seinen Kopf.

"Ich denke, das kann man leicht verhindern." Der junge Mann, der erst vor wenigen Wochen zum Team gestoßen war, kritzelte auf seinem Datentablett herum und die Kugel auf dem Wandbildschirm begann sich zu verformen.

"Ein Ei? Wieso denn ausgerechnet ein Ei?" Dr. Mugabe starrte auf den Schirm, während Scheich Foda meckernd lachte. "Natürlich, natürlich – ein Ei kann ja niemals wegrollen! Mein Großvater hatte in Kairo viele Tauben auf dem Dach, und da wir Knaben damals keine Murmeln hatten, so wie die reichen Kinder, versuchten wir es stattdessen mit geklauten Taubeneiern. Aber das hat nie geklappt." Der Scheich sank zufrieden in seinen Sessel zurück. "Stattdessen haben wir Sie ausgeschlürft!" Nun kicherte selbst der Kardinal.

"Ich glaube auch, dass dies ein ernstes Problem werden könnte. Stellen Sie sich einen zukünftigen Neandertaler vor! Wir müssen davon ausgehen, dass bei einer globalen Katastrophe die Zivilisation in ihrer heutigen Form vernichtet, und die Menschheit ein weiteres Mal von der Steinzeit an neu beginnen muss. Ich glaube jedoch, dass der Mensch zu allen Zeiten so findig sein wird, auch ein kristallnes Ei zu zerbrechen, in der Hoffnung darin etwas Essbares zu finden. Von außen kann er ja nicht ahnen, dass die Masse innen ebenso fest ist wie die Schale."

Dies war die längste Rede, die man bisher von dem Repräsentanten der Naturvölker gehört hatte. Der Häuptling aus Papua-Neuguinea trug zwei Doktortitel, aber mit den bunten Perlen um seinen Hals und dem Stirnband aus Muschelperlmutt wirkte er, als sei er eben gerade aus dem Dschungel getreten.

Seine Worte hinterließen ein tiefes Schweigen. Nur das leise Kratzen von Alecs Stift war noch zu hören.

 

 

Ihren 17. Geburtstag bei einer archäologischen Grabung zu verbringen hätte sie sich wirklich nie träumen lassen. Es war so lieb von ihrem Patenonkel, dass er sie diesmal mitgenommen hatte. Überhaupt war er der beste Onkel der Welt. Er hatte den schlimmen Weltkrieg mitgemacht und konnte wunderbare Geschichten erzählen, bei denen ihr ein Schauer nach dem anderen den Rücken hinunterlief. In letzter Zeit schien er jedoch zunehmend besorgt zu sein, wenn mit wochenlanger Verspätung endlich wieder ein paar Zeitungen aus London eintrafen. "Es ist nicht richtig, wie sie Deutschland behandeln", hörte sie ihn einmal murmeln, "das wird noch viel Ärger geben, viel Ärger!"

Durch das dichte Laub der Bäume fielen einzelne Sonnenstrahlen, und überall summten große Insekten herum. Die Vogelstimmen klangen ganz anders als zuhause, aber sie hatte schon gelernt einige von ihnen zu unterscheiden. Sie durfte sich nicht allzu weit vom Camp entfernen, denn dieses Gebiet von Belize war noch weitgehend unerforscht, aber solange sie den pochenden Klang der Spitzhacken und die Rufe der arbeitenden Kekchi-Indios hörte, konnte sie sich ja wohl kaum verlaufen.

Alice setzte sich auf einen Baumstamm, der noch nicht allzu sehr vermodert war. Um diese Tageszeit gab es keine Stechmücken, die kamen erst abends heraus. Aber da lag man ja schon in den Zelten und unter dem Moskitonetz. Sofern man nicht noch einmal hinaus musste. Das hatte sie schmerzlich erfahren müssen, und die Stiche hatten noch tagelang gejuckt.

Die Sonnenstrahlen waren inzwischen etwas weiter gewandert, und Alice wollte gerade wieder aufstehen, als sie unter einem nahen Gebüsch etwas aufblitzen sah. Neugierig ging sie näher heran und bückte sich.

 

 

Der Generalsekretär blickte Dr. Mugabe lange an. Dann blätterte er wieder in dem Bericht herum, bis er die Seite mit der holographischen Abbildung des Datenspeichers fand. Besonders glücklich sah er dabei nicht aus. "Die Explosion der Datenmengen erfordert zweifelsohne ein Umdenken, und ihre Sicherung genauso. Ich hätte aber nie gedacht, dass dies so weit gehen würde!"

Die Arbeitsgruppe der Kommission hatte ihre Empfehlungen ausgesprochen, und diese steckten ihm nun wie ein Kloß im Hals. Dabei waren es die besten Experten, und über die Umsetzung der neuen Speichertechnologie bestand bereits ein globaler Konsens zwischen Ministerien, Universitäten und Forschungsunternehmen. Nach mühevollen Verhandlungen war man endlich übereingekommen, dass nur eine konzertierte Aktion in der Lage ist alle digitalisierbaren Errungenschaften der menschlichen Kultur langfristig zu sicheren.

Natürlich würde man mehrere Backups machen. Womit auch gleichzeitig der Streit vom Tisch war, ob der Kristallspeicher mit seinen Yottabytes an Daten nun in den ägyptischen Pyramiden, den heiligen Schreinen von Tokio oder Lhasa, oder gar im jüngst errichteten multireligiösen Gotteshaus auf dem Tempelberg in Jerusalem aufbewahrt werden sollte. Jeder würde eine Kopie bekommen. Aber ausgerechnet mit dieser Symbolik?!

"Das wird nicht leicht," seufzte der Generalsekretär. "Wie seid ihr bloß auf so etwas…" ihm fehlten die Worte, und Dr. Mugabe sprang ein: "…auf so etwas hirnrissiges gekommen? Meinst du das?" Der Generalsekretär nickte wortlos,.

"Nun, es war dieser junge Mann, den uns dein Freund Juri geschickt hatte. Die sind doch irgendwie verwandt, nicht wahr?" Der Generalsekretär nickte abermals. Allerdings war nicht von der Hand zu weisen, dass Juris Neffe sein Geld allemal wert war – die Empfehlungen der Arbeitsgruppe waren einstimmig und ohne Enthaltung beschlossen worden.

"Das eigentlich naheliegendste, also ein menschliches Gehirn aus Kristall, hatten wir schon früh ausgeschlossen. Es sieht aus wie ein Haufen Gedärm ...oder dessen Produkt." Der Afrikaner rümpfte die Nase. "Später landeten wir bei der Kugel als Form, und anschließend beim Ei. Aber immer hatte irgend jemand stichhaltige Einwände vorzubringen. Wie schon bei den eckigen Körpern oder der Abbildung eines menschlichen Kopfes. Ich weiß zwar nicht, mit wem sich dieser Alec früher herumgetrieben hat, aber seine morbide Natur scheint wirklich die einzig umsetzbare Lösung gefunden zu haben." Dr. Mugabe zeigte auf das dreidimensionale Bild, das aufgeschlagen zwischen ihnen auf dem Tisch lag.

"Und damit fangen unsere Probleme erst richtig an…" murmelte der Generalsekretär und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Wasserglas. Dann schwiegen sich die Männer eine Zeit lang an.

 

 

Alice lief aufgeregt auf das Camp zu. Sie war vernünftig genug nicht allzu schnell zu rennen, um nicht über eine der vielen Baumwurzeln zu stolpern. Der große Kristall in ihren Händen blitzte jedes mal heftig auf wenn ihn ein Sonnenstrahl traf. Das reflektierte Licht schien in allen Farben des Regenbogens zu leuchten, es war schier atemberaubend.

Alice wusste, dass sie den Fundort unbedingt wiederfinden musste und blieb stehen, um sich zwischen den Bäumen zu orientieren. Dann legte sie ihren Fund behutsam auf den Boden und suchte ein weiteres Mal nach ein paar herabgefallenen Ästen, die sie anschließend zu einem gut erkennbaren Dreieck zusammenlegte. In die Spitze, die auf ihren Weg zurück wies, legte sie einen größeren Stein. Dann hob sie den schweren Kristall wieder auf, und hastete weiter auf die nicht mehr weit entfernt klingenden Stimmen zu.

 

 

Hatte ich schon erzählt, dass Alec mein bester Freund ist? Nun wusste ich es. Mein Motorrad rückte jedenfalls in greifbare Nähe. Und das, nachdem ich wochenlang kaum etwas von ihm gehört hatte.

Nicht nur, dass er mir ein Ticket erster Klasse geschickt hatte, um nach Genf zu kommen, das Ticket war auch noch one-way, und das sagte alles. Am Flughafen erwartete mich ein blasser Bediensteter, der sich das Namensschild krampfhaft vor die Brust hielt. Und draußen stand eine dunkle Limousine mit Chauffeur. Langsam kam ich mir vor wie in einem Film.

Alec hatte mir nur eine kurze, lakonische Mail geschickt. Es sei ihm gelungen, für mich eine Stelle als ‚Hardware-Experte’ zu finden – was immer das auch heißen mochte. Und ich solle nicht vergessen die automatische online-Überwachung anzuschalten, bevor ich die Villa verließ. Äußerst bedeutsam war dagegen die Ziffer 14 links der drei Nullen, mit der er unterzeichnet hatte, und daneben: steuerfrei. Ich konnte es noch gar nicht richtig fassen, schließlich sollte sich der Vertrag auf sechs Monate erstrecken. Plus Verlängerungsoption. Ich musste also nur aufpassen, in Genf nicht zu viel Geld für Schokolade auszugeben.

Auf der Fahrt in die Stadt sah ich kaum etwas, denn es goss in Strömen. Irgendwann erreichten wir eine breite Auffahrt, und mein blasser Begleiter, der sich mir als Pierre vorgestellt hatte, holte einen Regenschirm und bugsierte mich halbwegs trocken in die Eingangshalle. Kurz darauf erschien Alec, und ich umarmte ihn dankbar. Was sich immer so anfühlt, als würde ich versuchen mir ein Bügelbrett an die Brust zu drücken.
 
"Ich freue mich auch sehr, dass du hier bist. Deine Sachen kannst du stehen lassen, komm mit..." Er nahm mich am Arm, was er sonst eher selten tat. "Du kannst dir gar nicht vorstellen was für schräge Vögel es hier gibt! Für die sind natürlich wir die schrägen Vögel. Am besten ist es, jeden ihrer Vorschläge gleich vehement zu bejahen und anschließend einfach das zu tun, was man selbst für das Richtige hält. Schlimmstenfalls rennen wir zu Onkel Juri, der uns dann einen Termin beim Chef persönlich beschafft."

Alec hatte mich in ein großes Bürolabor geführt, in dem man eine Lastwagenladung an Computern, Bildschirmen und diversen anderen Geräten installiert hatte, die ich auf Anhieb jedoch nicht identifizieren konnte. An diesem Sonntagabend war niemand da, und alles summte leise im stand-by-modus, aber ich konnte mir die arbeitsame Atmosphäre gut vorstellen, die diese Räume sonst erfüllen mußte. Inzwischen wusste ich auch, dass wir uns in einer Dependance der UNO befanden, die man extra für die Gruppe freigeräumt hatte, der ich nun angehören sollte.

"Du wirst allerdings nicht hier arbeiten, denn diese Leute konfigurieren und optimieren die Datenspeicherung. Dies ist sozusagen die ‚input-Abteilung’." Alec zwinkerte mir verschwörerisch zu. Dann ging er voraus und zeigte mir den Weg zu dem Seitentrakt mit meinem Zimmer, in dem schon meine Sachen warteten.

"Du hast mir noch immer nicht erzählt, was ich hier eigentlich anstellen soll. Und so, wie du mir deinen Dr. Mugabe geschildert hast, kann ich mir auch kaum vorstellen, wie es uns gelingen könnte..."

"Ach was, Dr. Mugabe ist voll in Ordnung. Wahrscheinlich betreibt er zuhause Voodoo. Du wirst ihn ja morgen kennenlernen. Mit dem ‚Chef persönlich’ meinte ich allerdings den Generalsekretär", erwiderte Alec leichthin, "aber soweit ist es ja noch nicht, oder?" Ich musste schlucken. Alec wanderte zum Infoboard hinüber und tippte mit dem Finger darauf. "Morgen Vormittag um elf Uhr gibt es ein Meeting, bei dem du auch den anderen Teammitgliedern vorgestellt wirst. Vergiss aber nicht, vorher noch deinen Arbeitsvertrag zu bestätigen und den ID-Chip abzuholen. Das läuft hier übrigens nur mit Daumenabdruck."

Immer noch besser als die lästigen Laserstrahlen im Auge, jedes mal, wenn man an den impertinenten Retina-Scannern vorbei musste, dachte ich mir. Alec wandte sich zur Tür, doch dann drehte er sich noch einmal herum.

"Ach ja, Ghassan, deine Aufgabe. Nun, wir brauchen dich, um Zugriff auf einen Datenspeicher zu bekommen, über den wir bislang noch keinerlei Informationen besitzen. Nur, dass er voller brisanter Daten steckt, an die wir unbedingt herankommen müssen. Und selbstverständlich ohne dass sonst jemand etwas davon erfährt. Dies wäre dann die ‚output-Abteilung’." Alec schaute mich über seine aristokratische Nase hinweg lauernd an. "Ich gehe doch nicht fehl in der Annahme, dass es genau das ist, was du schon immer mal gern tun wolltest, oder?"

Diesmal war ich es, der dreckig grinste.

 

 

Als Alice das Camp erreichte sah sie ihren Onkel neben den hackenden und grabenden Arbeitern stehen. Er blickte so angestrengt auf die freigelegten Steinplatten, als wolle er sie durch seinen puren Willen zum Sprechen bringen.

Das Mädchen hatte nicht ganz verstanden, was an diesen alten Maya-Pyramiden so besonders war, dass man ihnen sogar sein ganzes Leben widmen konnte wie ihr Onkel. Doch der Fund in ihren Händen schien sie plötzlich mit einer ganz neuen Energie zu erfüllen, und die Begeisterung der Archäologen zeigte sich ihr nun in einem völlig anderen Licht.

"Onkel Frederick, Onkel Frederick!" Alice kam schnaufend zu stehen und streckte ihm ihren Fund entgegen. Die schwarze Erde, die daran geklebt hatte, war inzwischen an ihren Ärmeln verwischt. "Er steckte halb im Boden. Ist er nicht wunderschön?!" Alice strahlte mit dem Kristall um die Wette.

Später sollte der Archäologe in seinen Memoiren schreiben, dass ihn dieser Moment tiefer erschüttert hat als alle Gräueltaten, die er während des Krieges erlebt hatte. Aber es sei eine heilsame Erschütterung gewesen, so als ob hinter einem dichten Schleier von Ahnungen und Vermutungen plötzlich ein blendendes Licht aufgeflammt sei, das leuchtend von vergangener Großartigkeit zeugte.

"Oh, Alice...! Mein Gott...!" konnte er nur stammeln, während er den schweren Kristall vorsichtig in den Händen drehte. Die Kekchi hatten ihre Werkzeuge niedergelegt und standen mit ebenso fassungslosen Gesichtern da.

Alle starrten schweigend auf den Schädel eines toten Menschen, makellos leuchtend – und aus einem einzigen Stück Kristall herausgearbeitet.

Der plötzliche Schrei ließ das Mädchen erschreckt herumfahren, und sogar Onkel Frederick hätte den Schädel fast fallen lassen. Doch es war nur einer der Arbeiter, die inzwischen alle breit grinsten und nun anfingen, lachend und juchzend herumzutanzen.
                                    

 

Es war ein Großunternehmen, und entsprechend groß war auch das Labor. Klobige Laser der unterschiedlichsten Bauweisen standen herum, Spektralmessgeräte für Infrarot und Ultraviolett, Anlagen für chemische und physikalische Analysen und noch vieles mehr. Das Objekt schwamm in einer transparenten synthetischen Flüssigkeit mit sehr hoher Dichte. Von außen war es fast nicht zu sehen, es sei denn, man blickte aus einem günstigen Winkel von schräg oben in das Gefäß hinein. Die Fachleute hatten das Objekt mit jeder Art von Strahlung bombardiert, die Ihnen zur Verfügung stand, um irgendwelche Informationen zu erhalten. Sie hatten es sogar schon mit Röntgenstrahlen versucht, doch das hatte genauso wenig gebracht wie alle anderen ihrer bisherigen Analysen.

Inzwischen wusste man zwar, dass der Bergkristall natürlich gewachsen war. Und dass sogar das untere, separate Teil die gleiche Polarisationsachse besaß. Doch selbst die feinsten mikroskopischen Untersuchungen der Oberfläche hatten keinerlei Spuren einer Bearbeitung gezeigt. Professor Johnson war kurz davor zu verzweifeln. Andererseits konnte ihm aber auch niemand einreden, dass eine derartige Form in der freien Natur von ganz alleine entstanden sein sollte.

Nachdenklich starrte der Physiker den kubischen, transparenten Behälter an, und versuchte sich die darin befindliche Form vorzustellen. Er spürte ein leichtes Schaudern.
 
Und dann diese seltsamen, ja völlig unerklärlichen Reaktionen. Maiman und Basov hatten ihren stärksten Rubin-Laser zur Verfügung gestellt, und als man das Objekt mit dem kohärenten roten Licht anstrahlte, erschienen auf die hinteren Wand des Labors plötzlich bedrückende und verwirrende Abbilder unerklärlicher Strukturen, die jedoch eindeutig artifiziell waren. Verbundene Kreise, mehreckige Haufen von irgendwas, Spiralen mit kryptischen Symbolen daneben. Nur konnte Professor Johnson nicht verstehen, wie es jemandem gelungen sein sollte, einen einfachen Bergkristall in einen Dia-Projektor zu verwandeln. Und außerdem, wo sollten sich denn die Positive verstecken, der Kristall war schließlich lupenrein transparent. Aber das war noch nicht einmal alles.

Mike hatte von seltsamen akustischen Halluzinationen berichtet, während Bill darauf schwor, dass ihr Forschungsobjekt ‚gesprochen’ habe. Verstanden hatte er allerdings nichts, und der Effekt schien sich auch nicht zu wiederholen. Dabei waren sie beide erfahrene Experten, mit denen er schon lange zusammenarbeitete, aber so verstört hatte er sie noch nie gesehen. Ihm selbst ging es schließlich auch nicht viel anders.

Morgen sollte nun einer der neuen breitbandigen Titan-Saphir-Laser eingesetzt werden, um dem Geheimnis vielleicht doch noch auf die Spur zu kommen. Sie würden das Artefakt jedenfalls aus allen nur denkbaren Winkeln bestrahlen.

Auf dem Weg in die Kantine begegnete er Mike, und bis zum Nachtisch hatten sie sich gegenseitig gestanden, bei der Sache kein gutes Gefühl zu haben. Am nächsten Tag stellten sie fest, dass sie damit recht gehabt hatten. Selbst der stärkste Laserstrahl schaffte es nicht, dem Objekt noch irgend eine signifikante Information zu entlocken.

 

 

Diesmal schien sich eine andere Fraktion durchgesetzt zu haben, denn Aschenbecher sah ich keine, obwohl es noch immer ein wenig nach kaltem Rauch stank. Alec hatte sich bitterlich darüber beklagt, dass er nach jeder verrauchten Sitzung seine Anzüge in die Reinigung schicken musste. Jetzt saß ich neben ihm und schaute mir möglichst unauffällig die anderen Personen an, die den Besprechungsraum bevölkerten. Die Kleriker waren leicht an ihrer Kleidung zu erkennen, doch von hinten konnte man den Scheich kaum vom Kardinal unterscheiden. Einige der Techniker hatte ich schon am Morgen kennengelernt, aber ich spürte bei ihnen eine nachvollziehbare Ablehnung. Sie wussten, dass da noch etwas im Gange war, aber mehr auch nicht, und so etwas kann ganz schön wurmen.

Nach einer Kurzvorstellung, bei der ich mit hochrotem Kopf kaum mehr als meinen Namen stottern konnte, stürzte man sich sofort die aktuellen Tagesordnungspunkte, die aber so schnell wieder vom Tisch waren, dass sie unmöglich wichtig gewesen sein konnten. Und dann kam man zum eigentlichen Thema dieser Besprechung.

"Ich fasse nun noch einmal zusammen, was unsere Kommission dem Generalsekretär morgen vorlegen wird. Der Totenschädel war niemals das Symbol für etwas Lebendiges, also steht er auch nicht im Widerspruch zum Bilderverbot. Es ist gut vorstellbar, dass der Schädel oder sein Symbol gefürchtet, geehrt oder schlimmstenfalls ignoriert wird, aber niemand – zumindest keine der uns bekannten irdischen Kulturen – würde einen Totenschädel aus reiner Vernichtungswut zertrümmern. Tot ist ja schon tot. Viel eher würde man ihn als Kultobjekt würdigen. Vielleicht Anbeten. Ausstellen. Oder irgendwo vergraben." Dr. Mugabe machte eine kleine Pause und ließ seinen Blick über die Anwesenden streichen.

"Unsere Kommission zur Bewahrung des menschlichen Kulturerbes hat deshalb beschlossen, dass die Kristall-Datenspeicher, in denen die gesammelten Informationen der Menschheit aufbewahrt werden, die Form von Totenschädeln bekommen sollen. Diese Form garantiert den Objekten das höchste Maße an Schutz und Sicherheit, sogar in primitiven Gesellschaften der Zukunft – und zwar solange, bis die Nachkommen der Überlebenden jener Katastrophen, die wir uns zwar auftragsgemäß vorstellen müssen, deren Eintreffen wir aber trotzdem niemals wünschen, ...bis also diese Nachkommen in einer fernen Zukunft wieder den Weg der technischen Entwicklung beschreiten. Eines Tages werden sie dann die Elektrizität entdecken – und schon bald darauf unser Erbe finden, entschlüsseln und nutzen können."

Dr. Mugabe machte eine weitere Pause, die ich benutzte um Alec ins Ohr zu flüstern. "Auf diese kranke Idee bist doch garantiert Du gekommen, nicht war? Ich erinnere mich noch gut an den angeberischen Ring mit dem Totenkopf aus Elfenbein, als Du damals mit..." Alec stieß mir seinen Ellenbogen heftig in die Seite, doch die volle Stimme Dr. Mugabes überdeckte dankenswerterweise mein Keuchen.

"Wir haben uns ferner dafür entschieden, Kopien auf allen fünf Kontinenten zu deponieren, sobald die entsprechenden Kristalle hergestellt worden sind. Der Grundstock der Globaldaten wird dann schon hineingeladen sein. Spätestens ab dem kommenden Jahr werden die Kristalle dann wöchentlich auf den jeweils neuesten Stand gebracht, in Krisensituationen täglich. Doch sehen wir es positiv: Die Speicherkapazität ist groß genug, um dies viele Jahrzehnte lang fortführen zu können, schließlich kann ein einziger Kubikzentimeter Kristall 10 hoch 23 Bits speichern. Neben den fünfzig Millionen Blogs passt also auch noch die Popmusik der nächsten 100 Jahre mit hinein!" Wer hätte das gedacht? Dr. Mugabe gefiel mir immer besser.

"Und noch etwas. Um Irritationen zu vermeiden, werden wir in der Öffentlichkeit nichts über die äußere Form der Datenspeicher verlauten lassen. Auf den Fotos der Pressemeldungen werden die Quader aus den Labors zu sehen sein, mit denen die Technologie perfektioniert und die passenden Schnittstellen entwickelt wurden. Sicherlich haben Sie alle Verständnis für diese Maßnahme. Und nun möchte ich den Inneren Kreis zu einer geschlossenen Sitzung bitten, um noch einige spezielle Fragen zu klären. Meine Herren, ich danke ihnen."

Ich drehte mich zu Alec um, doch ich konnte in seinen Gesichtsausdruck nichts lesen. Was bei ihm nichts anderes bedeutete, als daß er schon längst informiert war. Nur, worüber?

 

 

Die Kommission war mit allen notwendigen Vollmachten ausgestattet worden. Das Artefakt in der gut gesicherten Vitrine des Britischen Museums in London wurde durch eine hervorragende Replik ersetzt, während das Original unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen nach Genf gebracht und der Kommission übergeben wurde. So landete es in dem mittelgroßen Arbeitsraum, in dem ich mich zwischenzeitlich eingerichtet hatte.

"SETI? Natürlich kenne ich das Projekt SETI. ‚Contact’ mit Jodie Foster ist einer meiner Lieblingsfilme, schon vergessen?" Manchmal konnte Alec eine richtige Nervensäge sein. Aber ich war ihm verpflichtet, der Ducati-Oldtimer-Katalog auf meinem Schreibtisch erinnerte mich in aller Deutlichkeit daran.

Doch bevor er etwas erwidern konnte setzte ich nach. "Du glaubst doch nicht etwa an die von-Däniken-These, dass der Schädel von irgendwelchen Aliens hierher gebracht wurde?!" Ich war zwar bekennender Anhänger diverser Verschwörungstheorien, aber UFO-Geschichten hatten mir noch nie gefallen. Natürlich gibt es auch woanders Leben, und sicherlich sogar intelligentes. Was sich deshalb auch tunlichst davor hütet, unserem Barbarenplaneten einen Besuch abzustatten. Ich jedenfalls würde mich so verhalten, wenn ich intelligent wäre!

Alec zog ein leicht abgegriffenes Buch heraus und begann mit würdevoller Stimme vorzulesen: "Nach einer alten Legende der Indianer gibt es auf der Erde 13 Kristallschädel, die von verschiedenen außerirdischen Rassen vor langer Zeit hierher gebracht worden sind. Laut den mündlichen Überlieferungen beinhalten diese Schädel wichtige Informationen über den Ursprung, den Zweck und das Ziel der Menschheit, sowie wichtige Antworten auf die größten Geheimnisse des Lebens und des Universum. Nun, was sagst du dazu?" Seine Augen schienen zu leuchten, und das Wort ‚Informationen’ hatte er geradezu ekstatisch betont. "Ist das nicht die eindeutige Beschreibung einer umfassenden, kompakten und systematisch abgespeicherten Enzyklopädie?! Menschenskind...!"

Wenn Alec sich für etwas begeistert, hilft meist nur eine kalte Dusche. "Dann erkläre mir bitte, wieso erstens gleich mehrere unterschiedliche Rassen involviert sein sollen, warum sie zweitens alle ausgerechnet menschliche Schädel, und nicht ihre eigenen hinterlassen haben sollen, und wieso sie sich drittens überhaupt die ganze Mühe hätten machen sollen!?"

Alec sah mich mitleidig an. "Ich habe SETI doch nur als Beispiel erwähnt, jetzt reg dich doch nicht gleich so auf..." Er schlenderte zu dem samtschwarz bezogenen Tisch, auf dem das Objekt im kohärenten Licht eines LED-Lasers vor sich hin funkelte. "Schon ganz andere hatten das Problem mit der Speicherung ihrer Datenflut zu lösen, warum sollen sie also nicht auch zu den gleichen Resultaten gekommen sein wie wir?"

Alec gab dem Schädel einen kleinen Schubs. Er war so perfekt auf dem Unterkiefer ausbalanciert, dass er nun langsam vor und zurück pendelte und dabei zu nicken schien. "In den Osram-Labors in Hamburg ist es schon 1975 gelungen, einen holografischen Film in einem Kristall abzuspeichern und auch wieder abzurufen. Er zeigte übrigens ein sich gegenüber kniendes, nacktes Paar. Ihre Köpfe kommen sich langsam näher und küssen sich dann. Das müssen echte Romantiker gewesen sein, Mitte der 70er. Und alles so öffentlich." Ein leicht abfälliges Lächeln umspielte seine Lippen.

Ich fühlte die Versuchung, die ehernen Ideale der Blumenkinder ins Gefecht zu führen und mit Unschuld, Liebe und Optimismus zu argumentieren, doch Alec hatte das Thema bereits abgehakt. Er gab dem Schädel einen weiteren Schubs. "Die Daten hier drin sind allerdings etwas älter und hoffentlich nicht so profan. Aber du darfst nie vergessen, von diesem Schädel weiß nur der Innere Kreis..."

Und dann fragte er: "Ob sie wohl auch ihre Pornos abgespeichert haben?"

Der Schädel nickte immer noch.

 

 

1959 stirbt Alices Onkel und vermacht ihr den Schädel, den sie fortan in einer Truhe aus Zedernholz aufbewahrt, die mit einer dicken Schicht Samt ausgefüttert ist. Von Zeit zu Zeit holt sie den Schädel heraus und stellt ihn ins Sonnenlicht. Sie hat das Gefühl, dass ihm das gut tut.
 
Als Alice rund 20 Jahre später gebeten wird, den Kristallschädel einem bekannten Labor für lichttechnische Versuche auszuleihen, ist sie nach erstem Zögern einverstanden. Später bekommt sie das Erbstück auch unversehrt zurück. Es erscheint sogar ein Buch über den einmaligen archäologischen Fund, doch außer den seltsamen Menschen, die voller Erwartung bei ihr auftauchen und beim Anblick des Schädels manchmal in Entzückungsschreie und manchmal in Weinen ausbrechen, scheint sich sonst niemand dafür zu interessieren.

Da Alice kinderlos ist beschließt sie, den Schädel dem Britischen Museum zu vermachen. Nun hat sie auch Ruhe vor den verrückten Schädel-Fans, wie sie jene Menschen insgeheim genannt hatte.

 

 

Es schien, als würde der Schädel Alec immer wieder magisch anziehen. Dass er mich mit seinen Besuchen bei meiner Arbeit unterbrach, störte ihn nicht im geringsten. Diesmal hatte er sogar Dr. Mugabe mitgebracht. "Man hat den Fundort damals weiträumig umgegraben, bis Monate später auch der Unterkiefer gefunden wurde, überraschenderweise völlig unversehrt." Der Afrikaner schaute zwischen den Apparaten hindurch, mit denen ich des Objekt unseres Interesse umzingelt hatte, zumeist waren es optoelektronische Schnittstellen.

Ich fühlte mich zu einer Erklärung gedrängt. "Er sitzt auf dem unteren Teil und ist perfekt ausgewogen. Und sein Inneres schein auch strukturiert zu sein. Wenn man das Licht von unten hineinleitet, wird es aus den Augenhöhlen wieder abgestrahlt. Als ob sich Lichtleiter in dem Kristall befinden, aber das ist natürlich völlig unmöglich."

"Hat man inzwischen schon eine Altersbestimmung machen können?" Das war ein Gebiet, auf dem ich mich nicht auskannte, und ich bat Alec mit einer Geste, für mich zu antworten.

"Nein. Es ist nur bekannt, dass er 1924 in Belize gefunden wurde. Dummerweise besitzen wir auch heute noch keine Instrumente oder Techniken, mit denen wir das Alter eines Kristalls feststellen könnten. Geschweige denn um herauszufinden, wann und wie er bearbeitet wurde, solange nicht die geringsten Spuren dieses Prozesses detektiert werden können", fügte Alec finster hinzu.

"Könnte er vielleicht geschmolzen worden sein, ...also ...so oberflächlich?" Alec schaute mich einem konsternierten Gesichtsausdruck an. Ich weiß ja, dass ich physikalisch von Kristallen nicht viel Ahnung habe, aber ich hasse es trotzdem, wenn er mich so ankuckt.

Dr. Mugabe drehte sich zu mir herum. "Nein, natürlich nicht. Sonst wäre ja die Achse der Kristallsymmetrie beeinflusst worden. Aber ich denke, dass gerade Sie sich nicht damit belasten sollten. Das woher und wieso wird von anderen Teammitgliedern bearbeitet. Sie dagegen sollten sich darum kümmern, wie die Daten herausgelesen werden können. Und nicht nur ich wäre sehr zufrieden, wenn möglichst bald etwas Bewegung in die Sache kommen würde!"

Als Dr. Mugabe verschwunden, und mein Herzschlag sich wieder halbwegs beruhigt hatte, drehte ich mich empört zu Alec herum. "He, ich dachte, wir bummeln den Job hier ab solange es nur geht? Weißt du eigentlich, wie viel eine Ducati von Neuzehnhundert..."

"Ach, halt den Mund, wen interessiert es schon, ob du auf einem öltriefenden Oldtimer herumfährst oder nicht? Ich weiß inzwischen, wie wichtig die Sache hier wirklich ist. Geld alleine kann mich nicht mehr motivieren."

"Aber mich!" antwortete ich trotzig, und biss voller Ärger ein großes Stück meiner täglichen Schokoladen-Ration ab. Doch Alec machte eine lässig-abfällige Handbewegung, die mich und meine Aussage ins Reich der Absurditäten verbannte. Lernen kann man das nicht, es scheint wohl nur mit adeligem Blut vererbt zu werden.

Nun funkelte er mich an. "Das ist jetzt alles völlig unwichtig. Wir müssen herausfinden, welche Daten sich in seinem Inneren befinden. Und zwar so schnell wie möglich!"

Brummelnd machte ich mich also wieder an die Arbeit. Ihm zu sagen, dass er mich dabei bitte in Ruhe lassen soll, traute ich mich aber nicht.

"Ich glaube übrigens, dass die Daten unverschlüsselt sind. Denn was hätte dies für einen Sinn? Es reicht ja wohl, dass wir eine oder sogar mehrere ihrer Sprachen komplett neu entziffern müssen, die uns noch dazu völlig fremd sein werden. Vielleicht haben wir es auch mit einer rundweg anderen Mathematik zu tun, die auf nicht-kongruenten Grundlagen aufbaut, wäre das nicht möglich? Die Daten werden allerdings stark komprimiert sein, da bin ich mir ziemlich sicher."

Alec hob den Kopf. "Wie lange wirst du noch brauchen?"

"Woher soll ich das denn wissen? Ihr lasst ja sonst niemand daran arbeiten. Solange ich also alles alleine machen muss...!"

"Je weniger davon wissen, desto besser. Glaube mir."

"Im Moment konzentriere ich mich darauf, irgendeinen Hinweis auf die Basisarchitektur zu finden, denn ohne diese gibt es auch keine Metadaten die mir sagen können, wo sich die tatsächlichen Daten befinden. Doch sobald ich diese Handarbeit geschafft habe, können die Computer den Rest weitgehend alleine erledigen. Jedenfalls das Auslesen."

"Aber trotz der durchstimmbaren Breitbandlaser hast du bisher nicht mehr als ein paar verrauschte Visualisierungen gefunden...", konstatierte Alec bitter.

"Es ist wie verhext, so als ob...", ich zögerte etwas, denn der Verdacht war mir selbst erst kurz zuvor gekommen, und solange ich mir nicht sicher war, wollte ich eigentlich noch gar nicht darüber reden.

"Als ob was...?" Alec blickte mich scharf an. Ich hatte keine Chance.

 

 

Der Generalsekretär begrüßte die Runde mit ernstem Gesicht. Diesmal waren nur die Mitglieder des Inneren Kreises anwesend. Allerdings hatte man auch Alec und mich dazu gebeten, schließlich waren wir die ‚output-Abteilung’. Dann kam er direkt zur Sache. "Wir müssen das unbedingt aus den Medien heraus halten. Um Gottes Willen! Daraus könnte sich ein Krieg, ja sogar mehrere Kriege entwickeln, ist Ihnen das klar?"

Rabbi Katz kam ihm zu Hilfe. Er wandte sich an die Runde und hob seine Stimme. "Können Sie sich vorstellen, was fanatische Extremisten mit dieser Nachricht alles anfangen könnten? Einen Kreuzzug...", hier stockte er kurz und warf einen Blick auf den neben ihm sitzenden Kardinal, "...oder einen Pogrom gegen die westliche Welt würden sie vom Zaun brechen, das kann ich Ihnen versichern! Sie werden uns vorwerfen, das Erbe der Menschheit fahrlässig vernichtet zu haben!" Er atmete tief ein. Die anderen lauschten gebannt.

"Nun ist es unsere Aufgabe, die Daten unserer Kultur sicher für künftige Generationen aufzubewahren, auch wenn ich aus religiösen Gründen nicht daran glauben kann, dass unsere Welt einfach so zerstört werden soll, ohne dass zuvor der Messias..." Rabbi Katz fühlte die Blicke der anderen und versuchte schnell wieder auf das Thema zurückzukommen, doch irgendwie hatte er den Faden verloren. Seine Blick zuckte hin und her. "Woher hätten wir denn wissen sollen, dass es derartige kristallene Schädel schon längst gibt?! In der Schule habe ich jedenfalls nichts darüber gelernt, und später auch nicht", setzte er verzweifelt hinzu.

"Es ist unverzeihlich, was geschehen ist! ...und doch müssen wir vergeben." Der Inder legte seine Hände zusammen. "Außerdem sagt uns der gesunde Menschenverstand, daß es im Rad des Lebens auch solche Aspekte geben kann. In vielen alten Texten meiner Kultur, die inzwischen natürlich auch in digitalisierter und mehrfach übersetzter Form vorliegen, lassen sich Spuren davon finden. Es sind Erzählungen oder Berichte, die uns heutigen Menschen wie Beschreibungen einer hochtechnisierten Welt anmuten. Einer Welt mit Flugzeugen und Raketen, mit Bildschirmen und Bomben – und sicherlich auch mit einem Informationsnetzwerk wie dem Internet. Inzwischen wurden derartige Spuren auch in der Bibel und im Koran gefunden. Hesekiel zum Beispiel, und natürlich al-Buraq! Aber nie fand man etwas, das als wissenschaftlich evidenter Beweis dafür gewertet werden konnte, dass es auf unserem Planeten schon einmal eine technologische Hochkultur gegeben hat, die ihr eigenes Informationszeitalter durchlebte. Noch nie ... bis heute!" Dr. Singh war einer der Nobelpreisträger, und er reihte seine Aussagen wie die DNS-Sequenzen aneinander, mit denen er sonst zu tun hatte.

"Da unsere Fachleute nun zweifelsfrei bewiesen haben, dass alle Daten, die sich in dem untersuchten Schädel befunden haben, gelöscht worden sind...", hier warf er einen Blick in meine Richtung, und ich zog unwillkürlich den Kopf ein, "...und da diese Experten ebenso zweifelsfrei nachgewiesen haben, dass es diese Daten auch tatsächlich gegeben hatte...!" –  ich wartete auf das Satzende, aber Dr. Singh schwieg. Inzwischen kuckten alle in meine Richtung, worauf Alec mit seinem Sessel noch etwas weiter von mir wegrückte. Ich hätte ihn erwürgen können. Andererseits musste ich ihm zugute halten, dass es ihn fast genauso sehr erschreckt hatte wie mich als uns klar wurde, was geschehen war.

"Was sollen wir also tun? Nein, was wollen wir tun? Wollen wir den Internationalen Weltgerichtshof anrufen und ein Unternehmen verklagen, das vor Jahrzehnten optische Untersuchungen an einem seltsamen archäologischen Fund durchführt hat, ohne dass man auch nur im entferntesten ahnte, mit was man es zu tun hatte?" rief der Inder in die Runde.

Der Häuptling aus Papua-Neuguinea brummelte zwar etwas, dass sich wie "...dumme Jungs in weißen Kitteln..." anhörte, aber Dr. Singh ließ sich davon nicht beirren.

Doch bevor er sein Plädoyer fortsetzen konnte meldete sich Dr. Mugabe zu Wort, der bisher eisern geschwiegen hatte. "Das Ergebnis der damaligen Untersuchungen lautete schlicht und einfach: ‚Unsere Wissenschaftler können nicht erklären, wie dieser Schädel in früheren Zeiten ohne die uns heute zur Verfügung stehenden Technologien hergestellt werden konnte.’ Mehr nicht! Die damaligen Verantwortlichen und Mitarbeiter sind inzwischen möglicherweise bereits gestorben, oder wenigstens schon längst pensioniert. Außerdem würde dies nicht das Geringste an der schmerzlichen Tatsache ändern. Wir müssen damit leben." Trotz einiger skeptischer Blicke schienen die meisten der Anwesenden damit einverstanden zu sein, und so konnte Dr. Singh nach einem Nicken des Generalsekretärs mit energischer Stimme fortfahren.

"Ich plädiere also dafür, dass unsere offizielle Kommission ihre Arbeit wie geplant fortsetzt. Wir haben schließlich die Aufgabe dafür zu sorgen, dass unser Wissen, unsere Geschichte und unsere Daten sicher für die Zukunft aufbewahrt werden können." Der Inder hatte dem Generalsekretär zugewandt gesprochen. Nun richtete er seinen Blick wieder auf die anderen Anwesenden.

"Da wir uns glücklicherweise bereits entschlossen hatten, gegenüber der Öffentlichkeit nichts über die äußere Form unserer Datenspeicher zu sagen, haben wir nun die unverhoffte Chance, die beiden Angelegenheiten ausreichend weit auseinander zu halten. Wir arbeiten weiter daran, das Wissen unserer Zeit zu speichern. Auf der anderen Seite hat es im Labor nie eine Katastrophe gegeben, ...oder der Schädel blieb so lange bei Alice und ihrem Onkel, bis er dann als Kuriosum im Britischen Museum landete. Punkt!"

Einige der Anwesenden begannen mit ihren Sitznachbarn zu tuscheln und ein allgemeines Gemurmel füllte den Raum. Konnte man wirklich erwarten, dass sich diese Geschichte so einfach unterdrücken ließ? Eigentlich war es völlig unwichtig, denn jetzt musste es kommen. Ich rutschte aufgeregt hin und her. Alec zischelte mir etwas zu, das jedoch von Dr. Singhs Stimme oder dem zunehmenden Rauschen in meinen Ohren übertönt wurde.

"Unser Freund Mugabe hat mir kurz vor dem Treffen jedoch noch etwas mitgeteilt, das mit seiner speziellen Arbeitsgruppe zu tun hat. Ich bitte Herrn Homsi daher, den Generalsekretär und uns darüber aufzuklären, wie sich die Angelegenheit aus seiner Sicht langfristig gestalten ließe. Wenn Sie so freundlich wären..." Dr. Singh lächelte mir aufmunternd zu, und in meinen Ohren rauschte es wie ein Wasserfall. Ich riss mich zusammen.

"Ja, also... wenn man wirklich wichtige Daten abspeichert, dann... dann macht man doch sicherlich auch mehrere Backups. Das werden Sie mit ihren ...also mit den ganzen globalen Kulturdaten und so doch auch tun, nicht wahr? Ja... nun, also das wär’s. Äh, Dankeschön." Ich hatte noch nie vor Gruppen sprechen können, und sackte endlich erleichtert wieder auf meinen Stuhl zusammen. Wann war ich eigentlich aufgestanden?

"Aber alle anderen Schädel, die wir bislang untersucht haben, erwiesen sich als primitive Nachbildungen. Es gab nur diesen einen!" rief jemand aus der Runde. Vermutlich einer der eingeschworenen Monotheisten.

Alec wusste, dass ich kaum mehr imstande war eine vernünftige Diskussion zu führen. "Herr Homsi will damit nur ausdrücken, dass es ausgesprochen sinnvoll wäre eine sogenannte ‚verdeckte’ Einheit zu bilden, die weltweit nach weiteren, natürlich echten Schädeln sucht. Denn es gibt sie!" In klar akzentuierten Großbuchstaben reden zu können ist auch so etwas, das ich wohl nie schaffen werde.

Alec stand auf und zückte sein Datentablett. Souveräne Bewegungen haben ihre eigene Magie. In diesem Moment war keiner der Anwesenden in der Lage, letzte Zweifel oder Bedenken zu äußern. Und dann war es dafür auch schon zu spät.

"Ich habe bereits einen entsprechenden Plan skizziert, den auch Dr. Mugabe gutgeheißen hat. Wenn Sie mir bitte erlauben...?"

Die Köpfe drehten sich erwartungsvoll dem Wandbildschirm zu.

 

 

Nachdem ich die Ducati drei Runden gefahren hatte, entschied ich mich doch gegen einen Kauf. Der Sattel war zu weich, die Lenkstange zu breit, die Rückspiegel zu groß... na ja, so Sachen eben. Außerdem kam ich mir auf der teuren Maschine ziemlich bescheuert vor. Vielleicht muss man ja auch dafür geboren sein. Ich war es ganz sicher nicht. Die Kawasaki, die nur einen Bruchteil des Preises der Ducati gekostet hat, ist auch schon 20 Jahre alt. Sie bringt mich zuverlässig von A nach B, und ich muss nicht geringste Angst davor haben, dass sie mir geklaut werden könnte.

Unser finanziell äußerst solventer ‚Verein für Mayakunde’, der sich nach Außen als eine Hobbygruppe gut betuchter Spinner darstellt, hat inzwischen schon viele weitere Kristallschädel aufgestöbert. Leider war noch kein Datenspeicher dabei. Alec gibt die Hoffnung jedoch nicht auf und trifft sich regelmäßig mit Dr. Mugabe und dem Generalsekretär. Die monatlichen Gehälter fließen zuverlässig auf unsere Konten, und das Spesenkonto scheint unerschöpflich zu sein. Solange die ganze Geschichte nicht auffliegt, machen wir also voller Enthusiasmus weiter.

Und sogar für den Fall, dass dies doch irgendwann einmal passieren sollte, hat Alec schon den passenden Businessplan parat. "Kommerz, der pure Kommerz! Das ist die Mutter aller Antworten. Ketten, Ringe, Poster und T-Shirts! Kristallschädel als Aschenbecher, Ohrringe, Autoaufkleber und Halloween-Masken. Sieht doch auch viel besser aus als ein Kürbis, oder? Meinetwegen auch Krawatten, Bettwäsche oder Toilettenpapier mit Kristallschädel-Motiven. Dazu natürlich Bücher, Filme, Spiele. Die ganze Merchandise-Palette! Der Markt und die Medien werden dermaßen überschwemmt, dass jegliche Verdächtigungen oder Vorwürfe im allgemeinen Rauschen der Systeme untergehen. Außerdem kann man an dieser Kriegslist auch noch gut verdienen!" lächelte er versonnen.

Ich hätte mich aus ‚ethischen Erwägungen’ natürlich dagegen ausgesproche, aber noch war es ja nicht soweit. Über das Grundeinkommen konnte ich mich zwar immer noch freuen, aber es gibt nun einmal nichts das so motiviert, wie eine Aufgabe für die man sich begeistern kann, die noch dazu generös bezahlt wird. Man muss ja nur aufpassen, dass die Arbeit nicht zur Besessenheit ausartet, oder dass man wie ein Süchtiger ohne sie gar nicht mehr leben kann. Könnte mir natürlich nie passieren!

Nur schade, dass ich mich mit meinem Daumenabdruck damals auch zu strengstem Stillschweigen verpflichtet habe. Doch andererseits kenne ich außer Alec kaum noch jemanden – zumindest nicht in der realen Welt – mit dem ich über asymmetrische Kryptosysteme oder die algorithmische Dechiffrierungen mehrfach verwürfelter Passwörter sprechen kann, geschweige denn über Jugendsünden wie das Umprogrammieren von Geldautomaten. Die dachten dann nämlich, im Fach mit den Hundertern lägen die Zehner. Was haben wir gelacht!

Alec trifft sich inzwischen häufig mit den Ansaris. Das sind Enthusiasten, die schon vor Jahren einfach mal 20 Millionen Dollar auf den Tisch gelegt haben, um eine Woche lang als ISS-Touristen die Welt von oben anzuschauen. Sie stifteten auch den Ansari X Preis, der die private Raumfahrt damals stark angefeuert hatte. Und nun tüftelt Alec gemeinsam mit ihnen an einem neuen Preis, den sie zusammen mit ein paar Internet-Krösussen ausloben wollen: Eine Milliarde Euro für denjenigen Menschen, der sich als erster auf dem Mond vor einem der alten Apollo-Lander fotografieren lässt! ...mal ganz abgesehen von den zwei oder drei Hasselblads, die dort noch herumliegen sollen, und die man bei globay bestimmt für einen achtstelligen Betrag versteigern könnte! 

"Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hinter den Kulissen schon für ein Hauen und Stechen um die Plätze auf dem ersten privat durchgeführten Flug zum Mond losgegangen ist", hatte mir Alec bei seinem letzten Besuch erzählt, "dabei haben sie noch nicht einmal einen flugfähigen Prototypen!" Wir saßen zusammen auf der Terrasse seiner Villa, und ich überlegte mir gerade, ob sich an diesem Hauen und Stechen möglicherweise auch ein gewisser Alec beteiligt ist. Denn Onkel Juri schien ihm mächtig Dampf zu machen.
 
Doch wie immer kam er mir zuvor: "Ich mach das ja nur aus beruflichen Gründen. Und wegen der Familienehre. Außerdem wird das Training sicherlich anstrengend. Aber um wie viel wollen wir wetten, dass sie damals auch auf dem Mond einen Daten-Schädel deponiert haben!?"

 

Anmerkung:

Anfang Juni 2011 erschien diese Story (zusammen mit LICHT) erstmals gedruckt als Nr. 7 der Hefte-Serie BunTES Abenteuer von Gerd-Michael Rose, Erfurt.

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