Willkommen!
Das Wappen der Familie Khammas

E von Erik Simon

Diese SF-Kurzgeschichte ist eine der nettesten, die jemals über das Thema 'Perpetuum Mobile' geschrieben worden sind. Und da ich mich peripher auch mit diesem Thema beschäftige, veröffentliche ich sie hier, damit sie nicht verloren geht. Wäre echt schade drum...


E

SF-Kurzgeschichte von Erik Simon


Bekanntlich ist es unmöglich, ein Perpetuum mobile zu bauen, weil nämlich die Energie eine Erhaltungsgröße ist. Das betrifft natürlich nur das sogenannte Perpetuum mobile erster Art; außerdem gibt es noch Perpetua mobilia zweiter und dritter Art und vielleicht noch mehr, oder besser, es gibt sie nicht, weil sie zwar nicht gegen den Energiesatz verstoßen, dafür aber gegen andere Sätze, an denen kein rechtgläubiger Physiker zweifeln darf. In dieser Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzählen will, geht es aber um ein PM l, also um ein Perpetuum mobile erster Art. - Herr Ober..., Herr Ober..., ach bitte, Herr Ober, bringen Sie uns doch noch zwei doppelte Wodka!

Ja, also das PM I. - Es interessiert Sie doch, oder? Gut, dann erzähle ich es Ihnen. - Sehen Sie, wenn ich hier so sitze, in diesem Lokal... und mich mit Ihnen unterhalte, sehe ich da wie ein potentieller Einstein aus? Nein, nein, ich sehe nicht so aus. Dabei hat der Einstein seinerzeit auch als Gutachter auf einem Patentamt gearbeitet, genau wie ich. Ich sage Ihnen, da macht man was mit! Man sollte denken, die Leute hätten es aufgegeben. Haben sie aber nicht. Perpehs zu entwerfen, meine ich. Es vergeht kein Monat, in dem nicht irgend so ein Entwurf für ein Perpetuum mobile bei uns eintrifft. Und wir dürfen uns dann hinsetzen und den Leuten Briefe schreiben und ihnen klarmachen, daß das Ding nicht funktionieren kann und warum nicht und daß sie sich ein anderes Gebiet aussuchen sollen, wenn sie die Menschhheit beglücken wollen. - Schrecklich heiß hier, nicht wahr? Wo bloß unser Klarer bleibt?

Manche sind ganz hartnäckig und kommen selber zum Patentamt. Die wenigsten bringen ein Modell von ihrem Perpeh mit, und bei denen, die eins mitbringen, funktioniert es nicht, weil noch irgendwelche unbedeutenden Verfeinerungen vorgenommen werden müßten. Sagen die Herren Erfinder. - Ach, da ist er ja endlich! Na, dann prost! Sie werden's brauchen können.

Ach so, das Perpeh. Kreuzt doch da vergangenen Dienstag so eine Type bei uns auf. Wenn er mittwochs gekommen wäre, hätte er meinen Kollegen Eddi angetroffen, aber nein, ausgerechnet dienstags. Schon wie er reinkommt, ahne ich nichts Gutes; wissen Sie, so ein langer, dürrer Kerl mit 'nem Wintermantel, von unbestimmbarem Alter, den Kerl meine ich, und überhaupt sah er schon von weitem so aus wie'n verkanntes Genie. Dafür hat man mit der Zeit einen Blick.

Kaum ist er drin, sagt er - nicht etwa guten Tag -, der Mann sagt: "Ich hab da was erfunden..., ein Perpetuum mobile. Hier ist doch das Patentamt? Also dann möchte ich ein Patent für ein Perpetuum mobile erster Art", sagt er.

"Nicht vielleicht eins anderthalbter Art?" frage ich ihn, er geht aber gar nicht darauf ein. "Haben Sie's gleich mitgebracht?" erkundige ich mich. "Oder haben Sie keinen Tieflader bekommen?"

Er schaut mich ganz erstaunt an. "Wieso Tieflader?" fragt er. "Natürlich habe ich es mitgebracht." Und da langt er in die Manteltasche und holt einen kleinen grauen Kasten raus. Er stellt das Ding auf den Tisch und sagt: "Ich habe jetzt aber keine Zeit. Ich muß gleich wieder los. Am besten, ich lasse Ihnen die Maschine da, Sie können sie ja inzwischen überprüfen. Bei Gelegenheit komme ich wieder, und dann bringe ich auch die Unterlagen mit." Und weg ist er. Das heißt, noch nicht ganz, denn an der Tür dreht er sich um und sagt: "Ach so, ich habe die Maschine aus einem unzerstörbaren Material gebaut, das können Sie gleich mit patentieren. Sozusagen zum ewigen Motor den ewigen Werkstoff." Und dann schlägt der Kerl die Tür zu und ist wirklich verschwunden.

Und ich sitze da und starre auf den komischen Kasten. Grau ist das Ding, etwa zwölf mal acht mal drei Zentimeter groß, quaderförmig.

Hallo, Herr Ober... Bringen Sie noch zwei doppelte Wodka für den Herrn und für mich. Für jeden! Also insgesamt vier, nicht wahr? - Wo war ich stehengeblieben...? Ja, der Kasten ist also quaderfönnig, und an der Stirnfläche hat er ein Loch, und da ragt eine Welle hervor, und auf der Welle sitzt ein Zahnrad. Und das Zahnrad dreht sich. Na gut, denke ich, da hat der Bursche eben eine Feder eingebaut. Nicht sonderlich originell. Ich versuche also das Zahnrad festzuhalten, das geht aber nicht. Hier, sehen Sie, die Hand habe ich mir aufgerissen dabei. Aber einfach warten konnte ich auch nicht; wissen Sie, solche Federn sind manchmal sehr stark und laufen sehr lange, außerdem mochte er ja den ganzen Kasten mit Federn vollgestopft haben. Ich versuche also, den Kasten aufzumachen. Geht aber auch nicht. Keine Schrauben, keine Schweißnaht, der ganze Kasten wie aus einem Stück. Außer dem Loch, wo die verdammte Welle mit dem verdammten Zahnrad rausragt. Ich das Ding in die Werkstatt geschafft, mit dem Schweißbrenner rangegangen - nichts. Warm ist es geworden, sonst nichts. Zwei Tage lang habe ich mich angestrengt, das Ding aufzumachen, ein paar Bohrer sind dabei zum Teufel gegangen. Schließlich habe ich einen Diamanten an dem Kasten zu Staub zermahlen, da hab ich's aufgegeben. Und kein Kratzer an dem Kasten! Und das Zahnrad drehte sich auch noch, als ob nichts gewesen wäre.

Schließlich habe ich das Ding in unsere Forschungsabteilung gegeben. Dort haben sie es mit Ultraschall und mit Gammastrahlen und mit Elektronenstrahlen und mit Röntgenstrahlen und mit allen möglichen anderen Strahlen bearbeitet, und sie haben auch was rausgekriegt. Und wissen Sie, was? In dem Kasten sind Wellen. Und Lager für die Wellen. Und Zahnräder. Zweihundertundsieben Zahnräder, die alle irgendwie ineinandergreifen. Und sonst nichts. Nichts! Nichts als Wellen und Zahnräder, verstehen Sie? Und alles ist in Bewegung. Schon seit knapp einer Woche. Ich weiß, so etwas kann es nicht geben. Ist mir völlig klar. Das Zahnrad an dem Ding dreht sich aber trotzdem, verstehen Sie? Wir wollten es anhalten - zwecklos. Wenn man es irgendwo festspannt, reißt es einfach das Material auseinander. Oder das Kästchen reißt sich aus der Halterung. Das Ding dreht sich übrigens stets gleich schnell, egal, ob Sie eine Last dranhängen oder nicht Wir haben das Notstromaggregat vom Patentamt an das Ding angeschlossen - jetzt haben wir den Strom umsonst. Wir haben überhaupt alles angeschlossen, was anzuschließen war - das verfluchte Zahnrad dreht sich weiter. Wissen Sie, was mich am meisten beunruhigt? Daß wir keine Ahnung haben, wie wir das Ding abstellen können. Wenn uns das nicht gelingt, geht die ganze Physik zum Teufel. So was darf es einfach nicht geben!

Was ich hier mache? Gar nichts. Ich suche den Kerl, der mir diese irrsinnige Maschine angedreht hat. Wenn er so was bauen konnte, muß er es auch wieder anhalten können. Ich werde ihm schon klarmachen, was es heißt, derart mit fundamentalen Naturgesetzen umzugehen! Mag sein, seine Maschine ist wirklich aus unzerstörbarem Material. Aber er selbst ist es bestimmt nicht, zum Teufel!

Herr Ober, zahlen!... Stimmt so.

He, merken Sie sich, die Energie ist eine Erhaltungsgröße! Eine Erhaltungsgröße!




Aus dem Kurzgeschichten-Sammelband 'Begegnung im Licht'. Phantastische Geschichten, Basar-Verlag Neues Leben, Berlin (DDR) 1976

Und hier noch als Bonus einen Auszug aus einem Roman der Brüder Strugatzki:

Kommt ein Mann von der Erde auf einen anderen bewohnten Planeten, nimmt Kontakt zu den fremden Wesen auf und bietet ihnen seine Dienste an. Er will ihnen ein erstklassiges Perpetuum mobile konstruieren. Auf diesem Gebiet, sagt er, sei er der größte Meister auf Erden. Die Fremden bestaunen ihn, hängen förmlich an den Lippen dieses Vertreters einer vermeintlichen Superzivilisation und machen sich, seinen Anweisungen folgend, unverzüglich ans Werk.

Sie stellen die Maschine auch fertig. Doch das Perpetuum funktioniert nicht. Der Erdenmensch dreht an den Rädern, kraucht zwischen allen möglichen Stangen und Zahnrädern herum und schimpft, die Sache sei nicht ordentlich gemacht. "Die Technologie liegt bei euch noch sehr im argen", behauptet er. "Zum Beispiel müssen diese Scharniere hier verändert oder, noch besser, ganz ausgewechselt werden, was meint ihr?"

Die Bewohner des Planeten schicken sich in die Lage, sie machen sich ans Verändern und Auswechseln. Kaum sind sie fertig, landet plötzlich eine Rakete von der Erde bei ihnen, eine Rakete vom Medizinischen Rettungsdienst. Die Erdensanitäter greifen sich den Erfinder und verpassen ihm eine Beruhigungsspritze. Der Arzt entschuldigt sich mehrfach bei den Fremden, dann startet die Rakete wieder. Die Planetenbewohner sind bedrückt und auch verlegen, sie schämen sich und wagen nicht, einander in die Augen zu sehen. Aber gerade, als sie auseinandergehen wollen, bemerken sie, daß das Perpetuum angefangen hat zu arbeiten. Ja, meine Freunde, die Maschine begann zu arbeiten und hat bis heute noch nicht wieder aufgehört, seit nunmehr hundertfünfzig Jahren...


Ein 'Witz' aus: Die dritte Zivilisation, von Arkadi und Boris Strugatzki, Suhrkamp TB 2163, 1993 (1975), S. 36


© 2007 - 2015 Achmed Khammas
design by .tpg